Die Geschichte einer langen Reise.
Seit nunmehr 40 Jahren halte ich mediterrane Landschildkröten in unserem Garten mitten im Ruhrgebiet. Was als Schnellschuss eines Dreizehnjährigen ohne jegliche Erfahrung in Sachen Landschildkrötenhaltung begann, wuchs und gedieh, wenngleich nicht ohne Opfer, zu einer Leidenschaft und Liebe zu einer Tierart, die seit Jahrtausenden viele Menschen in ihren Bann zieht … – religiös, kulturell oder auch leider kulinarisch!
Mich bannte von Anfang an das Wesen der Schildkröte, ihre Beharrlichkeit, ihr mögliches Alter, ihre vom Menschen hineininterpretierte Weisheit, ihr zumeist trutzig freundliches Naturell. So interessierte ich mich über Jahrzehnte mehr und mehr für diese Gepanzerten und optimierte stets und ständig meine Haltungsbedingungen.
Alles zum Wohl der Kröten: Weg mit dem Ziergarten, her mit dem Schotter und Wildkraut! Teure Klamotten waren immer schon überbewertet, ein gutes Gewächshaus oder Frühbeet mit entsprechend aufwendiger Technik hingegen durften ihr Geld kosten und waren obligatorisch.
Urlaub nicht in Übersee, nein, im Habitat wurden die Ferienhäuser gebucht und wozu am Strand das oft gelobte „ Gute Buch “ lesen, wenn man doch zeitgleich besser durch die dornige Macchia kriechen kann, um freilebende Exemplare der geliebten Spezies zu beobachten und um danach die gewonnenen Eindrücke für die Haltung daheim zu nutzen.
Überhaupt wurde ich über die Landschildkrötenhaltung zum Liebhaber des mediterranen Lebens. Schon 2007 erwogen wir das kühlere Deutschland zu verlassen und unsere Zelte in der Toskana neu aufzubauen.
Eine weltweite Wirtschaftskrise machte uns einen Strich durch die Rechnung. Der Traum wurde begraben. 2017 verlor ich all meine Tiere durch einen unentdeckten Herpes-Neuzugang innerhalb von nur vier Wochen. Manche mögen sich an meine Geschichte von damals erinnern… es war der absolute Tiefpunkt meines Lebens mit Landschildkröten und ich gönne diese Erfahrung wirklich keinem Schildkrötenhalter! 2018 begann ich von Neuem mit der Haltung, jetzt nur noch der Italienischen Landschildkröte Testudo hermanni hermanni.
Aus dem Freundeskreis kamen Tiere – teils eigene Nachzuchten meiner alten Tiere – zurück oder es waren Geschenke der Solidarität und Wertschätzung. Hier einmal mehr ein dickes Dankeschön an Petra, Claudia und Martin!
Zudem übernahm ich Fund- und Abgabetiere, häufig aus schlechter Haltung und behördlich eingezogen. Auch hier mal ein Danke an die zuständigen Sachbearbeiterinnen der Umweltämter in Bochum und Solingen sowie dem Märkischen Kreis!
Ich stellte eine ansehnlich große Gruppe Testudo hermanni hermanni zusammen, bestimmt nicht die Schönsten ihrer Art, aber die meisten Schildkröten kamen aus bedenklicher Haltung oder Aufzucht oder waren illegale Wildfänge. Traurig und sicherlich ärgerlich, dass das heutzutage immer noch geschieht! Nur meine eigenen zurückbekommenen Nachzuchten aus dem Freundeskreis waren spiegelglatt und langsam gewachsen.
Meine kleine Schildkrötenwelt war wieder im Lot, meine Tiere hatten ein naturnahes Gehege, was in unserem Klima aber immer nur Zugeständnisse seitens der Tiere bedeuten kann. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein!
2020 dann ein Schock! Mittelfristig mussten wir damit rechnen, unsere Wohnung und damit dann auch das Wildgehege im Garten zu verlieren.
Ohne Schildkröten? Fast wie ohne Hunde! Niemals!
Also gingen wir auf die Suche einer neuen Bleibe in Zeiten einer Pandemie und immer weiter explodierender Immobilienpreise…
Ein kleines Haus mit großem und natürlich sonnigen Garten – bezahlbar sollte es sein! Aufgrund der Möglichkeiten von Homeoffice war der gesamte Süden der Republik wegen seines klimatischen Vorteils dem Norden gegenüber von Interesse…
Eineinhalb Jahre und unzählige Besichtigungen teils unverschämter Immobilienangebote später, waren Frustration groß und Hoffnung klein.
Im Sommer 2021 erzählten wir unseren italienischen Freunden von unserer sich zuspitzenden Notsituation und als mittlerweile anerkannter deutscher Zweig der Familie wollte man in sich gehen und beraten.
Einen Tag nach unserer Rückkehr nach Deutschland bekamen wir mehrere Fotos von einem kleinen Häuschen in einem großen Olivenhain und das Versprechen, mit uns gemeinsam eine neue Heimat in der Toskana aufzubauen.
Ich will den Bogen zurück zu den Schildkröten spannen, nur so viel sei noch erwähnt: Beruflich dürfte es möglich sein. Unser halbes Leben liegt hinter uns, etwas Neues darf eintreten, die Pandemie lehrt uns das „Carpe Diem…!“
Und zu guter Letzt: Meine italienischen Landschildkröten kommen dorthin, wo sie eigentlich hingehören. Nach Italien!
So fuhren wir Anfang Oktober 2021 in die Maremma und besichtigten Haus und Olivenhain mit angrenzendem Wald, in welchem freilaufende Testudo hermanni hermanni zu finden sind.
Wie geil ist das denn?!
Schildkröten aus Deutschland nach Italien auszuführen heißt natürlich auf der einen Seite, diese Tiere wieder dem Klima zuzuführen, das für ihre Bedürfnisse optimal ist ( ganz ohne Wärmelampe ) und ihnen ein nahezu autarkes Leben fast im Habitat zu ermöglichen, aber es geht damit auch eine große Verantwortung einher. Und das ist die andere Seite. Es darf unter gar keinen Umständen zu einer Vermischung der Neuitaliener mit den Habitatstieren kommen!
Gegebenenfalls mögliche Krankheitserreger, hier ist Herpes an erster Stelle zu nennen, dürfen nicht ins Habitat getragen werden. Alle Tiere müssen also herpesfrei getestet sein! Und doch dürfen sie nicht ausbrechen können, denn auch eine genetische Vermischung zB. meiner Tiere mit sardischem oder gar unklaren Ursprung muss unter allen Umständen vermieden werden. Ein hoher und im unteren Bereich blickdichter Zaun ist daher unvermeidbar.
Wer nun glaubt, 3,67 ha Land bieten nun wirklich genug Raum zur Verwirklichung eines Schildkrötengehegetraumes, der geht die Sache etwas blauäugig an. Auch hier ist die Lage genau zu bewerten und zu überlegen, wo ein Gehege am meisten Sinn macht.
Vollkommen klar, ein hoher Zaun zum Schutz vor Fuchs, Dachs, Wolf, hauptsächlich aber dem gefräßigen Wildschwein tut Not.
Unser Sechser im Lotto bezieht sich auf das große Glück, dieses herrliche Stück Land angeboten bekommen zu haben, nicht aber auf einen finanziellen Sechser. Da zäunt man nicht mal eben knapp 4 ha Land ein.
Das macht man so oder so nicht mal eben; wir haben Ende Dezember/ Anfang Januar 2022 10 Tage gebraucht, um mit manpower und Maschineneinsatz 4000 qm einzuzäunen. Das sollte für Haus, Garten, Gemüsebeet, Schildkrötengehege und Hundeauslauf reichen. Später können wir ja immer noch…
Wohin aber das Gehege?
In die dazugehörige angrenzende Macchia? Nicht praktikabel. Wir hätten erst eine Schneise roden müssen und der Boden ist extrem steinig bis felsig. Das hätte das Budget sofort gesprengt. Zudem liegt der bewaldete Teil nördlich in abfallender Hanglage und ist somit zwar im Sommer angenehm schattig, den Rest des Jahres aber zu wenig lichtdurchflutet. An der südlichen Zaungrenze bieten jedoch nur die etwa 50 Jahre alten Olivenbäume Schutz vor Sonne, Wind und Wetter. Auch nicht ganz optimal. Westlich des Hauses ist mir der Wanderweg zu nahe und man will ja niemanden in Versuchung führen…
Also entschieden wir uns bereits im Oktober 2021 für den Gehegestandort am nördlichen Waldrand entlang als Wetterschutz von Norden her mit allerdings ganztägiger Sonneneinstrahlung von Osten, Süden und Westen, was bei der Gestaltung Berücksichtigung finden musste.
Nachdem Anfang Januar 2022 der Grundstückszaun stand und wir wieder in Deutschland waren, planten wir den Umbau des Gebäudes und ich nebenbei den Bau des Geheges. Nicht ganz einfach, wenn 1380 km dazwischen liegen und man an ein Budget gebunden ist. Bauherrenalltag eben!
Um dennoch die angrenzenden Olivenbäume bearbeiten zu können, opferte ich nur fünf ihrer Art dem zukünftigen Wildwuchs und hielt etwas Abstand zu den angrenzenden Bäumen, sodass schließlich in länglicher Form etwa 600qm Gehege eingefasst werden sollten.
Für den nächsten Aufenthalt Ende März/ Anfang April orderte ich 280 Betonblöcke für die Innenmauer und 1oo Meter undurchsichtigen Kunststoffzaun zur Befestigung am Grundstückszaun.
Natürlich hätte ich eine Mauer rings herum noch besser befunden, aber hier mußte ich einen Kompromiss eingehen.
Ende März war es kühl, jedoch mit wenigen Ausnahmen recht sonnig und es langte schon, um bei der Schichtung der Betonblöcke ordentlich ins Schwitzen zu kommen. 25 kg wiegt so ein Block. 280 galt es zu verteilen, einigermassen gerade am leichten Hang. Nicht ganz einfach, aber da ja in Trockenbauweise, nicht unmöglich… und etwas schief und krumm hat doch auch mehr Charme, oder?!
Einen Tag haben wir zu zweit gebraucht, einen Tag, um den Kunststoffzaun zu befestigen und zwei weitere Tage, um Kunststoffzaun und Grundstückszaun mit Steinen, Felsen und Geröll vor Untergrabung von innen und außen zu schützen. Schweißtreibend und sicherlich nicht zu meinen Lieblingstätigkeiten in der Zukunft gehörend, war es aber doch befriedigend zu sehen, was da für meine Tiere von uns geschaffen wurde.
Nochmal. Es ist für mich als Schildkrötenhalter das Größte, diese wärmeliebenden Sonnenanbeter wieder in südlicher Richtung über die Alpen bringen zu dürfen!
Was die Bilder aber auch zeigen: Es handelt sich erst einmal um ein relativ nacktes Gehege. So ist es für die Haltung ungeeignet und bietet keinen Schutz vor Wind und Wetter und allzu neugierigen Interessenten zwei- und vierbeiniger Natur.
Ich möchte der Natur ihren Lauf lassen. In den nächsten Jahren soll sich die Macchia das Gehege zurückerobern und den Schildkröten ein weitgehend eigenständiges Leben ermöglichen. Kräuter und Futterpflanzen sollen sich selbst aussäen und nicht mehr zweimal jährlich abgemäht werden. Aber bis dahin braucht es Zeit und ich muss mich um Schutz in den ersten Jahren kümmern.
Einige Korkrinden und Äste konnte ich in der Macchia finden und im Gehege verteilen. Das kann aber nur ein Anfang sein. Auch Ginster, Salbei, Zistrosen und Agaven konnte ich nur in Miniaturform pflanzen. Der Boden ist eine echte Herausforderung! Für die Sukkulentenecke an der Westmauer allerdings perfekt!
Da der Umzug für den Herbst geplant ist, kommen die Tiere quasi in die Situation, direkt in die Starre zu müssen. Das ist nicht optimal, läßt sich jedoch nicht anders organisieren. Daher will und werde ich ein Doppelfrühbeet der Firma Beckmann im Juni diesen Jahres aufbauen um eine gesicherte erste Starre gewährleisten zu können.
Ein Frühbeet im Habitat?
Da darf man irritiert nachfragen, aber ein nacktes Gehege macht es meiner Ansicht nach nötig. Ich habe unsere italienischen Nachbarn befragt, wie sie ihre Schildkröten in ihren Gärten überwintern? Nun, ein Holzhaus mit Stroh und fertig. Das klappe fast immer!
Fast?
Ja, machmal wird es dann doch zu kalt und einzelne Tiere erfrieren. Das sei schade, aber im Wald gäbe es ja immer neue Schildkröten…
Leute, das ist nicht mein Anspruch und daher ja, es wird erstmal Frühbeete geben.
Warum mehrere?
Ich bin seit ihrer Gründung Mitglied der Schildkrötenhilfe Witten e.V. und habe mich entschlossen, einige unvermittelbare Testudo marginata Männchen mitzunehmen um ihnen ein Leben an der Sonne zu ermöglichen.
Es sind recht große Gesellen und sie benötigen ein eigenes Frühbeet für die ersten Winterstarren. Der bürokratische Aufwand und das Setzen eines Transponders bei den Tieren sowie die Anschaffung eines geeigneten großen Frühbeetes sind mit hohen Kosten verbunden und so bat die Schildkrötenhilfe Witten e.V. um Unterstützung durch Spende eines alten Frühbeetes oder um Geld zum Neuerwerb eines eben solchen…
Kinder, was da los war!
Ein namhafter Halter mit beträchtlichem Wirkungskreis hat wohl nicht richtig gelesen und hingeschaut und verstanden. Von Schmarotzertum und Gefrierschränken für Eskimos war die Rede, von Dreistigkeit und was weiß ich nicht, noch alles…
Nebenbei, für meine Tiere zahle ich jeden Cent selbst, für Tierschutztiere bisher eben auch, dennoch wäre Hilfe schön gewesen. Schön und sinnvoll! Lediglich die ehemaligen Halterinnen übernahmen die Kosten für die Abwicklung der bürokratischen Hürden und der Verein spendete ein altes Frühbeet. Danke dafür! Dann mache ich den Rest eben wieder allein, das Glück der Tiere ist es allemal wert!
Derzeit warte ich auf die Rücksendung sämtlicher Papiere, denn die in Deutschland zulässige Fotodokumentation der Tiere ist eben nur hier zulässig. Jedes Tier bekam einen Mikrochip unter die Haut, ich weiß, ein ewiges Streitthema, aber ohne Chip kein Leben in der Toskana unter annähernd Habitatsbedingungen. Einen kleinen Tod muss man sterben und bisher sehe ich keine Beeinträchtigung der einzelnen Schildkröten.
Im Juni war es dann endlich soweit!
Mit den Hunden und zwei auseinander montierten Frühbeeten ging es in die Toskana.Wie weit waren die Bauarbeiten und wie hat sich der Bewuchs im Gehege entwickelt?
Wir waren sehr gespannt und natürlich auch entsprechend aufgeregt.
Der Rohbau war zeitlich absolut im Plan… und das Gehege?
Ich war etwas geschockt…
Italien hatte im Frühjahr kaum Niederschlag und alles war total vertrocknet.
Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Vertrocknete Pflanzen, ja, klar!
Aber fast keine Pflanzen, da ja nichts gewachsen ist?!
Das stellt zukünftig ein Problem dar. Und noch etwas: Der Schatten der Olivenbäume reicht keinesfalls aus!
Bis hier die Macchia hoch genug gewachsen ist, bedarf es einer künstlichen Beschattung.
Natürlich gingen Arbeiten für das Haus vor und so stellte ich die beiden Frühbeete, die ja eigentlich nur zur Überwinterung der ersten Jahre dienen sollen, an ihre Positionen und versuchte mich an den Fundamenten. Dieses Unterfangen war vergleichbar mit einer Kuh in der Sambaschule und da ich hier weder besonders ehrgeizig noch eitel bin, bat ich unseren Freund und Bauunternehmer Roberto, bei Gelegenheit die Fundamente zu bauen.
Anfang der zweiten Woche brachte eine Freundin mit ihrem Bus dankenswerterweise mein Terracotta-Gut sowie meine Kakteen und ich konnte endlich etwas pflanzen, was der Temperatur auch standhalten würde, wenn wir wieder in Deutschland sein würden.
Auch, wenn es noch nicht nötig war, ich wollte schon mal etwas weiterkommen und so baute ich mit einfachsten Mitteln und Resten Schattenplätze aus Holzkisten, Europaletten und Schilfmatten. Schön geht anders, ist den Schildkröten aber letztlich egal und ich versuche zunehmend, nachhaltig zu wirtschaften. Spart und ist umweltverträglicher.
Zum Ende der zweiten Woche baute Roberto mal so nebenbei die Fundamente für die Frühbeete und ich konnte sie aufsetzen und verschrauben.
Etappenziele erreicht. Anfang Oktober wird es ernst: Wir bringen unsere Italienischen Landschildkröten dort hin, wo sie hingehören.
Was für ein Glück für uns alle, mit und ohne Panzer!
Mittlerweile sind sämtliche nötigen Papiere der drei zuständigen Umweltämter eingegangen.
Nochmals für das jeweilige deutliche Entgegenkommen und die Zusammenarbeit ein herzliches Dankeschön!
Oktober 2022
Nun war es also soweit: der Umzugstag in die neue Heimat war angebrochen und die Aufregung groß.
Der italienische Umzugsunternehmer war bereits samt kleiner Mannschaft am Abend zuvor angereist und verstaute seit dem frühen Morgen unser Hab und Gut in zwei Umzugswagen. In unserem Kombi fanden unsere drei Hunde für die lange Fahrt Platz. Die 30 Schildkröten bekamen einen gesonderten Shuttle-Service. Sehr liebe Freunde von uns, selbst Schildkrötenhalter, fuhren unsere Tiere extra über Österreich in die Toskana. Über die Schweiz als nicht EU-Land wäre es ein enormer bürokratischer Aufwand gewesen. Nachdem die Umzugswagen um 11.00 Uhr Richtung Italien aufbrachen, packten wir unsere letzten Sachen zusammen und dann gegen 13.00 die Schildkröten in ihre Transportboxen: Erde, Schildkröten, Laub und Spaghnummoos. Ab ins Auto und los!
Ein seltsames Gefühl zwischen Freude und der Sorge, wie es den Tieren während der langen Fahrt wohl ergehen möge?
Wir erreichten unser neues Zuhause gegen 5.00 Uhr am frühen Morgen, unsere Schildkröten gegen 10.00Uhr.
Nun war meine Aufregung groß. Meine italienischen Landschildkröten waren wieder daheim.
Bitte nicht falsch verstehen. Ich habe fast 40 Jahre lang sehr hingebungsvoll und mit wachsendem Aufwand Schildkröten in Deutschland gepflegt. Mag noch so viel Liebe dabei sein, es ist nicht das Gleiche wie im ursprünglichen Habitat bzw. einem Gehege im ursprünglichen Areal. Das soll keinem deutschen Halter den Willen zur bestmöglichen Haltung absprechen. Am Ende des Tages bleibt es ein Kompromiss.
Jeder Halter, jede Halterin darf und muss sich hier selbst hinterfragen, ob die eigene Haltung dieser wunderbaren Tiere noch zu optimieren ist.
Nun ist es aber nicht so, dass die Tiere Purzelbäume der Glückseligkeit geschlagen hätten. Wir alle wissen, es sind Gewohnheitstiere. Gerade die Adulten und gerade im Herbst ist jegliche örtliche Veränderung mit Stress verbunden.
Und doch ging es nicht anders. Hilfreich erschienen mir da die sommerlichen Temperaturen von tagsüber bis 28 Grad und des nachts von über 15 Grad.
Doch war der Stress den Tieren deutlich anzumerken. Einzig die dicken Testudo marginata Männchen wirkten gechillt und fraßen direkt das wenige im Gehege wachsende Ferkelkraut. Die kleinen Italiener liefen rastlos durch das neue Gehege und waren zumeist am Zaun zur Macchia auf der Suche nach Schutz zu finden.
Jeden Abend habe ich alle Tiere eingesammelt und in die Frühbeete gesetzt und nach zwei Wochen gingen Zweidrittel der Tiere zum späten Nachmittag selbstständig hinein. Die anderen Schildkröten musste ich weiterhin einsammeln. Überdies dieselben unverbesserlichen Gesellen wie in Bochum. Der Stresspegel der Tiere hatte deutlich abgenommen, aber von Eingewöhnung darf man hier nicht sprechen. Ich denke, das kann Jahre dauern.
Mitte November sanken auch in der Toskana allmählich die Temperaturen und langsam wurde es ruhig bei den Schildkröten. Nur wenige fraßen noch, einige sonnten sich noch im Frühbeet, aktiver waren noch die Breitrandschildkröten.
In den vergangenen fünf Wintern blieb unsere Region fast frostfrei. Wenige Nächte mit minus 2-3 Grad und das war es auch schon. Das heißt aber nicht, dass nicht auch mal minus 8-9 Grad möglich sind. Dann gibt es sogar Frostschäden an den Olivenbäumen.
Daher sammeln wir derzeit Laub in der angrenzenden Macchia und schicken jeweils ein Stoßgebet gen Himmel, uns möge kein Italiener beobachten: Die bekloppten Deutschen harken Laub im Wald…
Nun ja, eine gewissen Schrulligkeit eint uns Schildkrötenhalter, egal wo auf der Welt wir diesem wunderbaren Hobby auch nachgehen.Im Frühjahr 2023 gibt’s ein weiteres Update. Hoffen wir bis dahin, dass alle Schildkröten den Umzug in die alte Heimat gut überstehen werden!
Juli 2023
Die Hitze ist da! Und wie!
Nach den Arbeiten im Garten und am Gehege ist es nun Zeit, in die Kühle des Hauses zu flüchten und bis mindestens 17.00 Uhr dieses auch nicht mehr zu verlassen.
Zeit, um ein paar Zeilen über das neue Leben zu schreiben.
Das Tragische vorweg: Zwei Tiere haben die Umzugsstrapazen nicht überlebt. Zwei Wackelkanditaten aus ehemals grottenschlechter Haltung, welche noch im vergangenen Jahr den Weg zu mir fanden. Gerade diesen Tieren hätte ich ein schönes Leben hier in der Toskana besonders gegönnt. Sehr schade! Alle anderen Tiere haben die mehr oder weniger lange Starre oder im Falle der Testudo marginata verlängerte Ruhephase gut überstanden. Die Testudo hermanni hermanni verschwanden zwischen Anfang November und Ende Dezember im Laub. Gefressen und getrunken wurde, wenn auch überschaubar, bis zuletzt . Die großen Marginatas verkrochen sich etwas unter das Laub mit dem Einsetzen des kurzen Winters von Mitte Januar bis Ende Februar. Basta! Nun ist es in den Frühbeeten natürlich auch wärmer, im Falle von Frost unter minus 5 Grad (durchaus möglich) auch sicherer, jedoch hatte die kühlste Nacht gerade einmal minus 3 Grad im Gepäck. Wissen kann man das vorher nicht.
Der Bewuchs des Geheges nahm im Frühjahr an Fahrt auf – Eichen, Zistrosen, Heide sowie Ginster und Wachholder erobern sich langsam neben einigen Futterpflanzen, allen voran die Wucherblume, der Spitzwegerich und Klee sowie das Ferkelkraut, das Areal der Schildkröten zurück.
Nun legte ich etwas meine Vorsicht ab und die Tiere entscheiden nun jeden Abend selbst, ob sie im Frühbeet oder im Gehege übernachten wollen.
In diesem Jahr war es für italienische Verhältnisse lange kühl und regnerisch. Aus deutscher Sicht war es ein echt warmes und trockenes Frühjahr!
Immer wieder auftretende Regenschauer ließen das Futter üppig sprießen und der von mir gesetzte Romanasalat wurde weitestgehend von uns verzehrt.
Ende März waren alle Tiere aktiv und fast den ganzen Tag im Gehege unterwegs.
Meine Aufgabe bestand nun darin, genau zu beobachten, wo welches Weibchen seine Eier vergräbt um dann die Gelege zu zerstören.
Auch in Italien gibt es zu viele private Züchter und es werden einfach zu viele Tiere für zu wenige fachkundige Hände nachgezogen. Der Duft des schnöden Mammon verfängt auch hier.
Ich hoffe, es ist mir gelungen.
Meine Tiere hier zu beobachten ist eine große Freude. Sie führen ein weitestgehend natürliches Leben ohne technischen Aufwand meinerseits. An Regentagen bleiben sie versteckt und mich plagt kein schlechtes Gewissen. Herrlich!
Natürlich sprechen wir immer noch von einem Gehege und nicht von der Macchia. Trotzdem wirken sie aktiver, nicht gehetzt und doch natürlicher im Verhalten.
Anfang Juli kam dann die große Hitze. Tagestemperaturen von 35 Grad und mehr.
Im Gehege war und ist meiner Meinung nach immer noch zu wenig Schatten. Bei ganztägiger Sonneneinstrahlung ist das aber lebensbedrohlich.
Die Aktivität der Tiere verschob sich nun in die Zeit von 6.00 Uhr morgens bis etwa 9.00Uhr und von 18.00 Uhr bis teils 20.00 Uhr.
Also habe ich mit Europaletten nach bewährter Methoden Schattenplätze gebaut, habe Laken in die Olivenbäume gehängt und Sonnenschirme aufgebaut…
Was soll ich sagen?
Nicht ein von mir künstlich geschaffener Schattenplatz wurde angenommen! Nicht einer!
Sah blöde aus und war auch noch nutzlos.
Zur Mittagszeit waren kaum noch Tiere zu finden. Wie vom Erdboden verschluckt.
Und genau da waren und sind sie auch. Und sei der trockene Boden noch so hart, es wurde und wird sich vergraben.
Ich lasse sie gewähren und vertraue auf den Instinkt.
Es ist Einiges neu und anders zur deutschen Gartenhaltung und ich gestehe, das helikoptermäßige Umschwirren meiner Tiere kann ich mir schenken. Hier sind sie zu Hause, hier bin ich Gast.
Zwei Wochen nach Einsetzen der großen Hitze sind sämtliche Futterpflanzen verdorrt oder aufgefressen.
Auf dem Grund selbst wächst noch Spitzwegerich und Ferkelkraut. Das war es dann auch schon. Und auch in der Umgebung sieht es eher trocken aus.
Meine Freundin Gudrun von der Schildkrötenhilfe Witten e.V. brachte neben von mir bestelltem Agrobs auch noch 5 neue Einwanderer mit. 3,1 Testudo hermanni hermanni und eine männliche Testudo marginata aus wohl furchtbarster Haltung. Das Tier ist pottenhäßlich und ich hoffe doch sehr auf innere Werte…
Aber diese Tiere dürfen nun in einem Gehege im Habitat leben. Das macht auch mich sehr glücklich.
Wie eingangs schon einmal erwähnt, es gibt viele mitteleuropäische Halter, die einen wirklich guten Job machen und dafür bin ich dankbar. Doch erkenne ich mehr und mehr, wie unterschiedlich doch das Leben der Tiere hier im Gegensatz zu zB. Deutschland verläuft. Es ist und bleibt eine Kompromiss-Haltung und es liegt an uns, ob wir unseren Tiere viel oder eher weniger abverlangen. Sie müssen annehmen, was wir ihnen bieten und sie sind nicht in der Lage, sich mitteleuropäischen Umweltbedingungen anzupassen.
Das habe ich früher immer wieder in Zoogeschäften und auch von langjährigen Züchtern gehört, wenn sie ihre Tiere zügig an den Mann oder die Frau bringen wollten. Ihr Angesprochenen: Schämt Euch!!!
Zurück in die Maremma.
Gestern habe ich das Gehege nochmals um knapp 200qm erweitern können. Fast 200qm mehr an Auslauf und Futterpflanzen. Ein echter Gewinn, der sofort inspiziert und angenommen worden ist.
Auch hier muss erst noch mehr Bewuchs einen natürlicheren Lebensraum schaffen.